Mobilfunkmessung mit der Müllabfuhr – Das „Coesfelder Modell“ zur Verbesserung der Mobilfunkversorgung
Im Kreis Coesfeld im westlichen Münsterland waren über das letzte Jahr mehrere Fahrzeuge der Müllabfuhr mit sogenannten Echtnetz-Boxen ausgestattet. Die kleinen Boxen, die im Fahrerhaus der Abfallsammelfahrzeuge mitgenommen wurden, haben den Mobilfunkempfang auf den Straßen im Kreis Coesfeld gemessen. Die erhobenen Daten schaffen die Grundlage für einen Dialog mit den Mobilfunknetzbetreibern. Im Gespräch mit dem Gigabitbüro berichtet Dr. Jürgen Grüner, Geschäftsführer der wfc Wirtschaftsförderung Kreis Coesfeld GmbH, von der Entstehung des Projektes, dessen Umsetzung und von Maßnahmen für einen besseren Mobilfunkempfang im Landkreis.
Die unkonventionelle Art der Mobilfunkmessung hat bundesweit für ein großes Medienecho gesorgt, überregionale Medien berichteten im letzten Jahr vom „Coesfelder Modell“ der Datenerhebung. Die Messung mit über 300.000 Messpunkten zeigte: Der Telefonie-Standard 2G ist nahezu flächendeckend verfügbar, bei 4G/LTE gibt es noch einige Lücken – auch, wenn bereits 90 % des Landkreises versorgt sind. Der neueste Standard 5G, der sich noch im Ausbau befindet, soll in Zukunft ebenfalls erfasst werden.
Die Mobilfunkmessung ist aber nur ein erster Schritt. Die gesammelten Daten werden in ein GIS-Modell eingespeist und mit Informationen zu Technik, Infrastruktur, kommunalen Liegenschaften und Antennenstandorten verschnitten – so entsteht eine umfassende datenbasierte Grundlage, um mit den Mobilfunknetzbetreibern Lösungen zur Verbesserung der Mobilfunkabdeckung zu finden. Dies kann zum Beispiel gelingen, indem neue Mobilfunkstandorte identifiziert oder bestehende ausgebaut werden.
Gigabitbüro: Herr Dr. Grüner, wieso führt der Kreis Coesfeld eigene Mobilfunkmessungen durch?
Dr. Jürgen Grüner: Nach Angaben der im Kreis Coesfeld tätigen Netzbetreiber gibt es hier in der Region eine nahezu vollständige Netzabdeckung. Allerdings werden die Messungen in der Regel unter optimalen Bedingungen durchgeführt, sodass sie eine bessere Abdeckung suggerieren, als dies tatsächlich der Fall ist. Trotz der sehr guten Mobilfunknetzabdeckung gibt es Funklöcher, die mit Hilfe unserer eigenen Messungen aufgedeckt werden können und somit auf einen Ausbaubedarf hinweisen. Da unsere Echtnetz-Boxen in den Fahrerkabinen der Müllabfuhr platziert wurden anstatt außerhalb des Fahrzeugs, wie dies meist der Fall bei Messungen der Netzbetreiber ist, liefern die mit den Müllautos durchgeführten Messungen realistischere Aussagen über die tatsächlich nutzbare Mobilfunkleistung. Darüber hinaus fanden unsere Messungen zu unterschiedlichen Jahreszeiten statt, in denen der Mobilfunkempfang beispielsweise durch die Witterungsverhältnisse variiert. Hinzu kommt, dass die Müllabfuhr nicht nur Daten an Hauptverkehrsstraßen sammelt, wie es bei gewöhnlichen Messungen meist der Fall ist, sondern auch abseits der Hauptstraßen, denn die Abfallsammelfahrzeuge fahren so gut wie alle Straßen im Kreis ab. Die erhobenen und umfangreichen Daten, die über eine geschützte GIS-Plattform zur Verfügung stehen, liefern den Betreibern eine fundierte Darstellung, wo Funklöcher vorliegen und somit Ausbaubedarf besteht. Ziel ist es, mit den Daten, die den Qualitätsstandards der Netzbetreiber entsprechen, den Ausbau des Mobilfunknetzes weiter voranzutreiben. Allerdings soll an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass Funklöcher zum Beispiel auch durch Baumaßnahmen verursacht werden können und somit nicht immer die Netzbetreiber für diese verantwortlich sind.
Gigabitbüro: Aus welchen Gründen haben Sie sich für den Einsatz der Müllabfuhr zur Datenerfassung entschieden?
Dr. Jürgen Grüner: Bisher haben Kommunen zur Mobilfunkmessung entweder auf teure und aufwendige Messfahrten von spezialisierten Anbietern mit hochwertigem Equipment, die ausgewählte Straßen abfahren, zurückgegriffen oder es wurden Mess-Apps für Smartphones genutzt, die jedoch nur auf geringe Akzeptanz bei den Netzbetreibern stoßen. Da die Müllabfuhr auf nahezu jeder Straße im Kreis Coesfeld unterwegs ist und langsam fährt, eignet sie sich hervorragend, um eine große Messwertdichte zu liefern. Eine Echtnetz-Box, die im Abfallsammelfahrzeug installiert ist, sammelt mehrere Tausend Messwerte pro Monat und generiert damit eine wertvolle Datenbasis. Knapp 5.000 Euro kostet die Miete einer Echtnetz-Box zur Mobilfunkmessung pro Jahr. Damit ist die innovative Lösung zur Datenerhebung wesentlich günstiger als eine speziell in Auftrag gegebene Testfahrt, die bei circa 2.000 Euro pro Tag liegt. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass keine reinen Messfahrten nötig sind. Da die Müllabfuhr ohnehin auf den Straßen des Kreises Coesfeld unterwegs ist, werden keine zusätzlichen CO2-Emissionen ausgestoßen. Nicht zu vergessen ist auch, dass bei der gewählten Lösung kein zusätzlicher Personalaufwand entsteht. Lediglich Gebiete, die nicht von der Müllabfuhr angefahren werden, können nicht direkt erfasst werden. Aber auch dafür gibt es eine Lösung: Die Echtnetz-Box kann zum Beispiel beim Radfahren oder Wandern mitgenommen werden und so kann der Mobilfunkempfang zum Beispiel in touristisch interessanten Gebieten, die im Wald liegen, gemessen werden.
Gigabitbüro: Wie können die gesammelten Daten zur Mobilfunkversorgung genutzt werden?
Dr. Jürgen Güner: Mit den Netzbetreibern werden laufend Gespräche zur Verbesserung der Mobilfunkversorgung geführt. Auf Grundlage der erhobenen Daten überlegen wir gemeinsam mit den Mobilfunknetzbetreibern, was getan werden kann, um die Lücken in der Mobilfunkversorgung zu beseitigen. Es kann zum Beispiel sein, dass der Kreis Coesfeld als Vermittler auftritt und einen Netzbetreiber darauf hinweist, dass andere Anbieter in dem betreffenden Gebiet einen Mast haben, den der Netzbetreiber eventuell mitnutzen kann, dessen LTE-Netz noch keine vollständige Abdeckung hat. Gibt es in dem Gebiet mit schlechtem Empfang keinen Mast, kann der Netzbetreiber anhand der Daten entscheiden, ob und wo er neue Sendemasten aufstellen will. Der Kreis Coesfeld und die Wirtschaftsförderungsgesellschaft können diesen Prozess unterstützen, indem sie die Netzbetreiber bei der Standortsuche und den Genehmigungsverfahren begleiten und Gespräche mit den Eigentümern führen. Dabei geht es auch regelmäßig um Fragen des Natur- und Denkmalschutzes.
Gigabitbüro: Auf welche Herausforderungen sind Sie bei der Umsetzung gestoßen und was können Sie auf Basis Ihrer Erfahrungen empfehlen?
Dr. Jürgen Grüner: Tatsächlich war die Umsetzung des Projekts denkbar einfach. Wir sind mit unserer Idee an die Firma Remondis herangetreten und diese hat sich sofort bereit erklärt, uns bei der Verbesserung des Mobilfunkempfangs im Kreis Coesfeld zu unterstützen. Schließlich profitiert auch Remondis selbst von einem lückenlosen Empfang, um smarte Lösungen in der Abfallsammlung umzusetzen. Ein Thema, das bei der Realisierung des Projekts aufkam, war der Datenschutz. Die Antwort hierzu sah wie folgt aus: Wir erhalten die Messwerte nur aggregiert und erst einen Tag nach der Erfassung. Damit ist der Datenschutz der Müllwagenfahrerinnen und -fahrer gewährleistet, denn so kann deren Route nicht in Echtzeit nachverfolgt werden. Eine Übertragung des Konzepts auf andere Kommunen halte ich für sehr erfolgversprechend.
Gigabitbüro: Herr Dr. Grüner, wir danken Ihnen für das Gespräch!