Über das Potenzial von Telemedizin und die Unerlässlichkeit digitaler Infrastrukturen: Gerald Swarat im Interview
Im Rahmen des diesjährigen Digitaltags mit dem Motto „Digitale Demokratie. Mitreden. Mitgestalten. Mitwirken“ widmen wir uns als Kompetenzzentrum der Bedeutung der Telemedizin und ihrer digitalen Relevanz. Welche Rolle spielt Telemedizin für die digitale Teilhabe? Wo liegen Chancen und Herausforderungen? Warum sind Technologien wie 5G und Glasfaser unerlässlich? Gerald Swarat, Leiter des Berliner Kontaktbüros des Fraunhofer IESE, gibt in unserem gemeinsamen Interview Einblicke in diese Themen und zeigt auf, wie Telemedizin bereits heute zur digitalen Teilhabe beiträgt.
Über Gerald Swarat
Gerald Swarat leitet das Berliner Kontaktbüro des Fraunhofer IESE, welches sich für digitale Ökosysteme zur Förderung von Lebensqualität, Nachhaltigkeit und wirtschaftlichem Erfolg engagiert. Sein Fokus liegt auf den Auswirkungen der digitalen Transformation auf Staat und Gesellschaft, insbesondere auf kommunaler Ebene in Städten und ländlichen Gebieten.
Gigabitbüro: Herr Swarat, was ist Ihrer Meinung nach die größte Chance, die durch Telemedizin im Sinne der digitalen Teilhabe realisiert werden kann?
Gerald Swarat: Die größte Chance der Telemedizin im Sinne der digitalen Teilhabe ist die gemeinwohlorientierte Sicherung und Verbesserung des gleichberechtigten Zugangs zu medizinischer Versorgung unabhängig von Wohnort, Mobilität oder Ressourcen. Der Gedanke, dass der Staat eine gesundheitliche Daseinsvorsorge allgemein bereitstellt, scheint für viele selbstverständlich. Jedoch stehen wir vor großen Herausforderungen, die diese Annahme erschweren und besonders außerhalb der großstädtischen Ballungszentren zeigt sich das Dilemma: eine unzureichende Gesundheitsversorgung für die alternde Bevölkerung. Telemedizin ist ein zentraler Baustein einer schnell aufzubauenden Daseinsvorsorge im digitalen Zeitalter. Durch Telemonitoring, Videosprechstunden und digitale Vernetzung können medizinische Expertise und Gesundheits- sowie Pflegeleistungen auch in strukturschwachen Gebieten verfügbar gemacht werden, wie Projekte wie „Herz.Gesund“ im Landkreis Mayen-Koblenz zeigen.
Gigabitbüro: Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang digitale Infrastrukturen, um solche Angebote und den Zugang zu Telemedizin flächendeckend zu realisieren?
Gerald Swarat: Digitale Infrastrukturen sollten heutzutage eine selbstverständliche Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse sein und damit auch für digitale Gesundheitslösungen, denn eine stabile und schnelle Internetverbindung ist obligatorisch, um Videoanrufe und den Austausch großer Datenmengen wie medizinischer Bilder oder Videos zu ermöglichen.
5G-Netzwerke bieten niedrige Latenzzeiten und stabile Datenübertragungsraten, was besonders für Echtzeitanwendungen wie Fernoperationen oder Live-Übertragungen von medizinischen Daten, wie z.B. aus Krankenwägen in Krankenhäuser, wie auch z.B. bei der Überwachung von Vital-Daten wichtig ist.
Gigabitbüro: Kennen Sie kommunale Beispiele, wo solche telemedizinischen Projekte erfolgreich realisiert wurden?
Gerald Swarat: Aus eigener Erfahrung heraus kann ich nur unterstreichen, dass die frühzeitige Behandlung von Schlaganfällen entscheidend ist. Beim Stroke-Einsatz-Mobil-Projekt (STEMO) von MEYTEC wird Telemedizin in Rettungswägen zur frühzeitigen Schlaganfallerkennung genutzt. So wird prähospitale Schlaganfallversorgung mobil ermöglicht.
Das von der TU München initiierte telemedizinische Pflegeheimprojekt in Traunstein adressiert die komplexen Versorgungsbedürfnisse von Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern. Ein modularer Telemedizinkoffer mit EKG-Gerät, Pulsoximeter und HD-Kamera ermöglicht es Pflegekräften, Vitalparameter bei akuten Verschlechterungen zu erfassen und gemeinsam mit Teleärztinnen und -ärzten zu interpretieren. In den ersten drei Monaten konnten 29 % der potenziellen Krankenhauseinweisungen durch Sofortinterventionen vor Ort vermieden werden. Das System integriert zudem eine Medikationsdatenbank, die Wechselwirkungen prüft und Dosierungsanpassungen vorschlägt.
Das Fraunhofer Zentrum für Digitale Diagnostik in Potsdam unterhält ebenfalls Projekte mit ländlichem Fokus, wie z.B. das Projekt Neighborhood Diagnostics. Dabei kommen Smartphones und tragbare Messgeräte zum Einsatz, die bereits heute potenziell relevante Daten wie Herzfrequenz, Gangstabilität oder Sturzereignisse aufzeichnen und mittels einer App für die Ärzteschaft visualisieren. Durch die Analyse dieser Daten können Therapieanpassungen in Echtzeit effizient realisiert werden. Ziel ist es, medizinischem Personal durch ein detailliertes Bild des Gesundheitszustandes die Analyse und Behandlung zu erleichtern.
Gigabitbüro: Welche positiven Effekte entstehen hieraus für ländliche Kommunen?
Gerald Swarat: Telemedizinische Lösungen bieten Kommunen effektive Möglichkeiten, Versorgungsungleichheiten zwischen urbanen und ländlichen Regionen auszugleichen, die durch den demographischen Wandel, die Fachkräftelücke und Landflucht entstanden sind bzw. sich weiter ausprägen. Trotz dessen stehen Kommunen vor bekannten Herausforderungen wie fehlende Finanzierungsmodelle und Integration von Pilotprojekten in die Regelversorgung. Nachhaltige Lösungen erfordern politische Unterstützung, stabile Netzwerke und nutzerfreundliche Technologien, um Akzeptanz bei Behandelnden und Behandelten zu sichern. Diese Ansätze entlasten medizinisches Personal, optimieren Ressourcen und verbessern die Patientenversorgung durch kontinuierliche Datenerfassung und Fernbetreuung.
Fazit
Das Interview verdeutlicht, welch enormes Potenzial dem Bereich der Telemedizin innewohnt. Besonders Menschen, die durch Infrastrukturdefizite in ländlichen Gebieten keinen Zugang zu einer adäquaten medizinischen Versorgung haben, können hiervon profitieren. Durch die Integration von Telemedizin in die Regelversorgung kann Teilhabe ortsunabhängig langfristig unterstützt werden. Dies verdeutlichen viele Projekte. Entscheidend dafür sind schnelle und stabile digitale Infrastrukturen wie Glasfaser und Mobilfunk. Daher setzen wir uns als Gigabitbüro des Bundes aktiv für den Ausbau dieser Technologien ein, um digitale Teilhabe für alle zu ermöglichen.